Rechtschreibprobleme nach der Grundschule

Die Methode  „Schreiben nach Gehör“ war am 24.09.2014 Thema eines Artikels der Schwäbischen Zeitung.  Aufgrund des kontroversen Charakters und dem bleibenden Interesse der Thematik veröffentlichen wir den Artikel mit einleitendem Kurzkommentar auf der Homepage.

Die Aussagen des Artikels zu den Schwächen der Methode „Schreiben nach Gehör“ haben bei Lehrern des Progymnasiums große Resonanz gefunden und haben die kritische Einschätzung bestätigt, die von Anfang an vorhanden war.  Die aktuelle Entwicklung lässt die Befürchtungen eher als begründet  erscheinen. Dass nun nachgebessert werden soll, von Lehrern, Schülern und nicht zuletzt Eltern, verdient besondere Aufmerksamkeit. Es bleibt zu fragen, warum eine solche Methode weitergeführt werden sollte, die mehr Probleme zu verursachen als zu lösen scheint und einen zusätzlichen Aufwand aller Beteiligten nötig macht. Der für Eltern und Schüler wohl relevanteste Teil ist hervorgehoben.

——————

Bettina Levecke von der SZ schreibt:

Neuried – (dpa) – Sie „kempfen“ mit den Hausaufgaben und sind „vertig“ mit den „Nerfen“, wenn ein „Dicktat“ ansteht: Viele Schüler auf weiterführenden Schulen haben Probleme mit der Rechtschreibung. Was in der Grundschule noch mit Nachsicht behandelt wurde, sorgt nun für knallharte Zensuren. Fritz Jansen, Verhaltenstherapeut aus Neuried macht Mut: „Mit gezieltem Training kann innerhalb eines Jahres das Rechtschreibproblem gelöst werden.“

„Schreiben nach Gehör“: Diese Methode ist seit einigen Jahren Basis des Rechtschreiblernens an deutschen Grundschulen. Mit Anlauttabellen lernen die Kinder, die Buchstaben der Wörter herauszuhören. Die Methode ist umstritten. Zu Recht, sagt Jansen: „Vieles, was sich gleich anhört, wird doch unterschiedlich geschrieben. Wie sollen Kinder etwa hören, dass man Bus mit s und Kuss mit ss schreibt?“

Nachwuchs kann oft nichts dafür

Eine weitere Hürde: Beim Schreiben nach Gehör wird nicht gleich korrigiert. An vielen Schulen erfolgt die Verbesserung der Fehler erst nach und nach ab Klasse 2. „Doch auf diese Weise bilden sich falsche Angewohnheiten“, sagt Ruth Hölken, von Beruf Diplom-Pädagogin. Wer 100 mal „bund“ statt „bunt“ schreibt, werde das beim 105. Mal wieder machen, erklärt die Expertin. Ein Kind entscheide sich im Zweifel immer für die Schreibart, die ihm am bekanntesten vorkomme. Und das sei dann häufig die falsche.

Doch wer auch immer schuld an dem Dilemma ist, den betroffenen Kindern nützt die Ursachenforschung wenig. Wenn der Rotstift durch das Diktatheft saust, entstehen Angst und Frust: „Bin ich nicht gut genug fürs Gymnasium?“, „War meine Realschulempfehlung nicht richtig?“ Jansen rät Eltern, ihren Kindern deutlich zu machen, dass sie nichts dafür können. Es liege an der Methode, mit der sie unterrichtet wurden, nicht an mangelnder Intelligenz.

Auch Wiltrud Richter vom Landesverband bayerischer Schulpsychologen in München empfiehlt klärende Worte: „Sagen Sie Ihrem Kind, dass das eine Übergangsphase ist, und es vielen anderen Kindern genauso geht.“ Auf dieser Grundlage können die Kinder dann für das Lernen der richtigen Schreibweisen motiviert werden. Und zwar mit positiven Botschaften, wie „Du kannst daran arbeiten und es ändern“ oder „Schritt für Schritt wirst du besser werden“. Diese Signale der Eltern würden Kindern helfen, nach vorne zu schauen, und machten das Üben leichter.

Am besten Wörter visualisieren

Doch wer soll mit dem Kind üben? Die Eltern? „Wenn sie sich das zutrauen, auf jeden Fall“, findet Hölken. Bei starken Rechtschreibschwierigkeiten empfiehlt sie aber zunächst eine Untersuchung beim Kinder- und Jugendpsychologen: „Eventuell steckt auch eine Lese-Rechtschreibschwäche hinter dem Problem und die kann man nicht mal eben zu Hause therapieren.“

Liegt es jedoch nur an der Methode, gilt es mit dem Lernen loszulegen. Zehn Minuten pro Tag reichen laut Jansen aus, am besten zu einer regelmäßigen Tageszeit. Komplizierte Rechtschreibregeln, könnten Eltern dabei ausblenden: „Dehnungs-H und Co. braucht kein Mensch. Die Kinder müssen die Wörter visualisieren. Das ist das Allerwichtigste.“

Damit die richtige Schreibweise vor dem inneren Auge erscheint, können Eltern zum Beispiel mit Karteikarten üben. Jedes falsch geschriebene Wort aus Hausaufgaben und Diktaten kommt richtig geschrieben auf eine Karte. Diese muss sich das Kind einprägen und buchstabieren. Bei einem Fehler darf es auf die Karte schauen und das Wort erneut buchstabieren. Auf diese Weise visualisiere das Kind die richtige Schreibweise und speichere sie im Kopf ab, sagt Jansen. Ob ein Wort groß oder klein geschrieben wird, wird mit gesprochenen Sätzen geübt: Die Eltern sagen einen Satz und das Kind erklärt dazu Wort für Wort, ob es groß oder klein geschrieben wird.

Auch das Schreiben von Texten unter Zeitdruck, wie es in Diktaten der Fall ist, könne geübt werden. „Die Aufgabe des Kindes besteht darin, vor dem Schreiben eines Wortes kurz innezuhalten und die Visualisierung abzurufen,“ erklärt Jansen. So schleiche sich der Automatismus des Schreibens nach Gehör langsam aus.

Nicht meckern, sondern loben

3000 bis 4000 Wörter beinhaltet der Grundwortschatz für die aktive Sprache. „Mehr als 1000 Wörter schreibt dabei kein Kind falsch“, ist Jansen überzeugt. Wenn ein Kind jeden Tag drei falsch geschriebene Wörter richtig lerne und diese in den nächsten Wochen ausreichend wiederhole, habe es in rund einem Jahr seine Rechtschreibprobleme gelöst.

Wenn Wörter immer wieder falsch geschrieben werden, kann das Rechtschreibtraining für Eltern zur Geduldsprobe und für Kinder belastend sein. „Eltern sollten unbedingt Ruhe ausstrahlen“, sagt Ruth Hölken. Sie empfiehlt, Verständnis für die Schwierigkeiten des Kindes zu zeigen. „Manche Schreibarten sind ja auch komplett unlogisch.“ Wichtig sei außerdem, das Kind immer wieder positiv zu bestärken: „Nicht meckern, sondern loben. Und das am besten für jedes richtige Wort.“ Gelinge das nicht, sei professionelle Hilfe, zum Beispiel durch Schülerhilfe, Lerntherapeuten oder Rechtschreibtrainings die bessere Wahl.

——

Text und Bild: SZ, 24.09.2014

Diese Seite verwendet Cookies, um die Nutzerfreundlichkeit zu verbessern. Mit der weiteren Verwendung stimmen Sie dem zu.

Datenschutzerklärung